In dieser Ausgabe des DiFü-Podcasts „D wie Digital“ spricht Redakteurin Maria Beßler mit Dr. Julia Kleeberger von den Jungen Tüftlern und Dr. Marco Fileccia, Lehrer am Heinrich-Heine-Gymnasium in Oberhausen.

difue.de: Unser Thema heute ist KI und ChatGPT. Julia, kannst du unseren Hörer:innen kurz noch einmal erklären, was künstliche Intelligenz eigentlich genau ist?

Julia Kleeberger: Von künstlicher Intelligenz sprechen wir eigentlich immer, wenn Maschinen eigenständig Vorhersagen oder Entscheidungen treffen – ohne, dass wir eine bestimmte Sache vorgegeben haben. Wenn ich zum Beispiel die Leertaste drücke, dann erwarte ich, dass in meinem Dokument ein Leerzeichen entsteht. Das habe ich so programmiert. Bei künstlicher Intelligenz ist das anders: Sie generiert aus einer großen Menge an Daten für sich Sinn. Ich weiß also vorher nicht unbedingt, was am Ende rauskommt, weil ich es eben nicht so programmiert habe.

difue.de: In der letzten Zeit ist das heiße Thema bei künstlicher Intelligenz ChatGPT. Was ist das und was kann das?

Julia Kleeberger: ChatGPT ist ein Chatroboter, also eine künstliche Intelligenz, mit der ich ein Gespräch führen kann. Im Vergleich zu anderen Chatbots basiert ChatGPT aber nicht nur auf Regeln, sondern arbeitet datenbasiert. Damit bezieht es den Kontext viel stärker ein und kann parallel Dinge miteinander vergleichen. Außerdem spult ChatGPT nicht einfach nur einen geskripteten Dialog ab, sondern entscheidet kontextuell, wie es antwortet.

difue.de: Erinnerst du dich an die erste Frage, die du ChatGPT gestellt hast und an die Antwort?

Julia Kleeberger: Ja! Ich habe gefragt: Was ist ChatGPT? Ich habe sie gefragt, was sie ist, auch um das selbst besser zu verstehen. Die Antwort war, dass sie ein Chatroboter ist – und dass sie besser ist als alle anderen.

difue.de: Und du Marco, was hast du ChatGPT als erstes gefragt?

Marco Fileccia: Ich habe eine Frage aus der theoretischen Physik zur Schwerkraftsenkung gestellt. Da wusste ChatGPT schon ziemlich gut Bescheid, ich war zufrieden mit der Antwort.

Was bedeutet dieses mächtige Werkzeug jetzt eigentlich in den Händen der Lernenden und der Lehrenden?

difue.de: Du arbeitest ja als Lehrer. Was glaubst du: Was können Schüler:innen, was ChatGPT vielleicht nie lernen wird?

Marco Fileccia: Es kann das nicht lernen, was Menschen lernen können. In Bezug auf Emotionen, in Bezug auf Kreativität. Ich umschreibe das immer gerne so: ChatGPT erlangt nie Weisheit. Weisheit ist das, was Menschen im Laufe eines Lebens irgendwann erlangen können.

difue.de: Hat ChatGPT Konsequenzen für die Arbeit von Lehrkräften? Und wenn ja, welche sind das?

Marco Fileccia: Ja, und das ist eigentlich die spannende Frage, die sich Schüler:innen und auch Studierende und Lehrkräfte an Schulen und Unis stellen: Was bedeutet dieses mächtige Werkzeug jetzt eigentlich in den Händen der Lernenden und der Lehrenden? Es verändert überall dort etwas, wo ich als Lehrkraft Leistungen bewerten muss. Zum Beispiel bei Facharbeiten, die nur als Text abgegeben werden, weiß ich nicht, ob Schüler:innen das selbst gemacht oder vielleicht nur abgeschrieben haben. Das ist sozusagen die Negativseite, die schwierig zu beantworten und schwierig zu lösen ist. Ich hätte so zwei, drei Ideen. Aber es gibt natürlich auch eine positive Seite, über die ich gerne rede.

difue.de: Welche Ideen hast du, um diese Negativseite zu lösen?

Marco Fileccia: Bei allen Formaten, bei denen ich eine Leistung von Schüler:innen bewerten muss, zum Beispiel bei Facharbeiten oder Examensarbeiten an der Uni, muss ich eine weitere Stufe hinzufügen. Zum Beispiel so etwas wie die Verteidigung einer Dissertation. Das heißt, dass ich ein Gespräch über die Arbeit mit den Schüler:innen führen würde, bei denen sie ihre Arbeit verteidigen. Ich würde mir zutrauen, innerhalb von einer Viertelstunde herauszufinden, ob sie die Arbeit selbst erstellt haben oder nicht.

difue.de: Und wie steht es um die positive Seite?

Marco Fileccia: ChatGPT ist ein mächtiges Tool: Ich kann es einsetzen, wenn ich Elternbriefe schreiben oder Unterricht vorbereiten möchte. Da kann ich mir einen Unterrichtsentwurf geben lassen mit einer Gliederung. Das funktioniert didaktisch noch nicht so gut, ChatGPT müsste hier methodisch noch etwas dazulernen. Was aber spannend ist, sind Multiple-Choice-Aufgaben. Im Biologie-Unterricht brauche ich nur das Thema vorzugeben und dann bitte ich ChatGPT, mir fünf Fragen zu erstellen mit jeweils drei falschen und einer richtigen Antwort. Und dann spuckt ChatGPT mir das aus.

difue.de: Gibt es etwas, was ihr in der Debatte rund um ChatGPT vermisst?

Marco Fileccia: In der Debatte fehlt mir der große Blick auf die gesellschaftliche Frage. Wir sind fasziniert von dieser Technik – so weit, so gut. Aber was bedeutet das für unser Zusammenleben? Ich wüsste gerne, wo es hingeht und ich hätte vielleicht auch ganz gern die eine oder andere Regel, wie wir eigentlich damit sinnhaft umgehen können.

Julia Kleeberger: Was ich sehr leise finde, sind die Stimmen, die nach den Quellen fragen. Die sehe ich bei ChatGPT halt nicht. Ich finde es wichtig, da intensiver hinzuschauen, weil wir damit auch Kompetenzen stärken: Warum gibt mir ChatGPT diese Antwort? Wo holt es das Wissen her? Mir ist es wichtig, dass ich als Nutzerin in einen Gestaltungsprozess komme und mein Lernen und mein Suchverhalten selbst in die Hand nehme. Und dafür ist Transparenz ganz wichtig.

Marco Fileccia: Aber das ist ja bei anderen Quellen auch nicht anders. Der Google-Algorithmus ist zum Beispiel auch nicht transparent. Diese Frage nach der Quellenkritik, die hat man ja immer. Das ist jetzt wahnsinnig intransparent, weil wir gar nicht wissen, mit welchen Daten ChatGPT gefüttert ist. Aber das wissen wir bei Google eigentlich auch nicht.

Julia Kleeberger: Genau das ist ja das Wichtige bei künstlicher Intelligenz: Damit wir sie so einsetzen, dass sie uns unterstützt und auch als Gesellschaft unterstützt, ist Transparenz wichtig. Ein Beispiel: In Österreich hat die Arbeitsvermittlungsagentur angefangen, KI einzusetzen, um Menschen und Jobs zu vermitteln, und hat das auch transparent gemacht. Und da war eben eine Gewichtung drin, dass Frauen, die junge Kinder haben, niedriger bewertet wurden als gleichaltrige Männer. Und dann ging ein Riesenaufschrei durch die Gesellschaft und es entstand eine Debatte genau darum, weil sie gesagt haben: Ja, aber tatsächlich ist das die Realität, die künstliche Intelligenz abbildet. Daran müssen wir als Gesellschaft arbeiten. Das geht aber nur, wenn das transparent gemacht wird. KI kann von uns als ein Werkzeug genutzt werden, um als Gesellschaft gerechter miteinander umzugehen.

difue.de: Das ist spannend – und noch einmal ein ganz eigenes Thema für sich. Maschinenethik und dass Stereotype nicht reproduziert werden.

Die Maschine ist nur so gut wie die Daten, die sie bekommt und die generieren wir. Eigentlich müssen wir uns die Frage stellen: Warum passiert das?

Julia Kleeberger: Ja genau. Die Maschine ist nur so gut wie die Daten, die sie bekommt und die generieren wir. Eigentlich müssen wir uns die Frage stellen: Warum passiert das?

Marco Fileccia: Na ja, das sind ja leider nicht wir, sondern im Augenblick sind es irgendwelche Tech-Firmen, die das tun. Aber eigentlich müssten wir das ja tun.

difue.de: Marco, für Lehrkräfte ist es seit Wikipedia schwieriger nachzuvollziehen, ob Schüler:innen etwas selbst geschrieben haben oder nicht. Was können wir aus diesen vergangenen Disruptionen lernen?

Marco Fileccia: Als Lehrkraft ist man immer wieder in der Situation, dass man Leistungen bewerten muss. Und da muss ich mir besondere Mühe geben. Das musste ich schon immer. Jetzt muss ich aber noch eine Ebene drauflegen. Es gibt sogar schon Tools, mit denen man erkennen kann, ob ein Text von einer KI geschrieben wurde oder nicht. Die funktionieren nur nicht besonders gut, weil die andere KI eben so gut ist. Wenn ich Leistungen bewerten muss, ist das bei Klausuren oder mündlichen Prüfungen relativ einfach, weil Schüler:innen dort keine Technik benutzen dürfen. Bei Hausarbeiten wird das schon schwieriger. Aber Technologie wie ChatGPT bietet auch ganz tolle Möglichkeiten – auch für Schüler:innen. Wenn man lernen möchte, ist das ein hilfreiches Tool. Aber das ist es eben auch, wenn ich faul bin und mir das Leben einfacher machen will. Aber dann ist es eben kein Lernen.

difue.de: Was können wir daraus lernen, Julia?

Julia Kleeberger: Ich sehe es ein bisschen differenzierter. Wir arbeiten mit unterschiedlichen Schulen zusammen und wir sehen Schulen, die stark projektbasiert arbeiten. Die nehmen das als Geschenk an. Also es ist einfach ein Werkzeug, was sie zusätzlich einsetzen. Und für mich ist eher die Frage: Was müssen wir eigentlich noch lernen? Künstliche Intelligenz kann ein Werkzeug sein, das für uns Dinge erledigt, die wir nicht mehr selbst machen müssen. Dafür brauchen wir aber andere Kompetenzen.

Marco Fileccia: Ich muss jetzt den geben, der ein kleines bisschen konservativer ist. Schüler:innen müssen bestimmtes fachliches Wissen erlernen. Vielleicht müssen sie nicht mehr jedes kleine Detail wissen, das sie jederzeit abrufen können. Trotzdem ist Fachlernen sehr wichtig: Bei Fremdsprachen müssen Schüler:innen Vokabeln lernen, weil sie sonst nicht sprechen können. Da hilft dann auch kein ChatGPT. Schüler:innen müssen bestimmte Dinge einfach lernen, lernen können und auch lernen wollen.

difue.de: Ich glaube, wir können aber den Konsens finden, dass Lernen wichtig ist.

Marco Fileccia: Ja, klar. Lernen zu lernen. Auch das vermisse ich manchmal in der Debatte. Dass Menschen lernen und sich weiterentwickeln möchten. Da ist auch klar, dass sie dann alles nehmen, was ihnen dabei hilft. Aber diese Motivation, die intrinsisch kommen muss, die haben wir in der Schule leider nicht immer.

Julia Kleeberger: Hier muss ich noch eine Lanze für den Menschen brechen. Der Mensch an sich lernt unheimlich gern. Wir müssen uns fragen: Was sind die Gründe, warum wir nicht gerne lernen? Jeder lernt auf eine andere Art und Weise. Und ich sehe in Technologien durchaus auch Möglichkeiten, auf individuelle Belange viel stärker einzugehen und gerade Lernende als solche viel stärker ihn in den Vordergrund zu stellen. Was kann ich eigentlich lernen und wie will ich das lernen? Und dass daraus dann individuelle Lernpfade entstehen, was mit einer Lehrkraft alleine gar nicht leistbar ist.

Marco Fileccia: Hier muss ich noch einmal einhaken. Schule ist auch ein soziales Erlebnis. Das heißt, Schule ist viel mehr als nur alleine zu lernen. Individuelle Förderung ist sehr wichtig, aber diesen sozialen Aspekt von Schule, den dürfen wir gerade nach Corona nicht vergessen.

difue.de: Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt und danke für diese spannende Diskussion!

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